Erlebnisse und einige nennenswerte Ereignisse von meiner
Pilgerreise nach Santiago de Compostela 

 

Als 71-jähriger habe ich im Frühjahr 2009, in der Zeit von Mitte März bis Anfang Mai, eine Pilgerreise von Saint-Jean-Pied de Port nach Santiago de Compostela unternommen.
Ich muss gestehen, ich bin immer noch davon fasziniert und infiziert.

Hier möchte ich nicht über den Weg und das Ziel, die schönen Landschaften und Kathedralen, sondern vielmehr über einige Begebenheiten und Ereignisse berichten, die ich während meiner Reise erfahren durfte.

 

 

 

Ranzige Butter auf dem Brot

Ich hatte mich gut vorbereitet, so dass ich Mitte März ganz relaxt meine Reise antreten konnte. Dennoch hatte ich zwei Tage vor meiner Abreise folgenden Traum: Ich war in einer kleinen Herberge und wollte etwas zu Essen machen. Die Verfallsdaten auf den Lebensmitteln waren alle weit überschritten. Ich sagte zu meinen Mitpilgern: “Stellt euch nicht so an, solange die Butter nicht ranzig ist kann man sie doch wohl essen.“

In Ciriunela habe ich genau die Herberge aus meinem Traum gefunden, und was hatte ich am nächsten morgen? Natürlich ranzige Butter auf dem Brot. Ich sah es dem Hospitalero nach, denn er wollte ja seine Herberge erst in ein paar Tagen öffnen, nahm mich aber freundlicherweise auf. Er war so nett, sodass ich es ihm noch nicht einmal habe merken lassen. Die Brote habe ich vor lauter Hunger runter gewürgt.
siehe:_09.-10. Tag. Torres del Rio - Logrono - Najera - Cirinuela

 


 

Dem ersten Pferde-Pilger begegnet

 

 

Auf dem Weg nach Leon begegnete mir der erste Pferde-Pilger.

Er war  Franzose und kam schon von Santiago zurück. Er war ein ganz harter Bursche. Jede Nacht, so berichtete er, schlief er bei seinem Araber-Hengst draußen im Freien und das auch bei Regen und Schnee.
siehe:_22.-24. Tag.  El Burgo-Ranero -  Mansila de las Mulas - Leon

 

 

 

 

 

Zwei lebensgefährliche Übergänge auf dem Weg waren zu bewältigen

Auf dem Weg von Mansila de las Mulas nach Leon waren zwei sehr kritische Übergänge zu überwinden. Die Passage der schmalen Brücke in Puente de Villarente war lebensgefährlich.

Es herrschte reger Autoverkehr, und gegen die am Morgen tief stehende Sonne konnten wir Pilger von den Autofahrern kaum erkannt werden. Der schmale Gehstreifen zwischen der Brückenbrüstung und der Straße betrug maximal 30 bis 50 cm. Als sich eine Autolücke auftat bin ich um mein Leben gelaufen, um aus dieser  gefährlichen Situation heraus zu kommen.

Noch gefährlicher war die Querung der vierspurigen Autobahn vor Leon. Die Autos kamen in hohem Tempo und wir mussten zur anderen Seite herüber. Ein Fahrer hatte wohl ein Einsehen. Er betätigte die Warnblinkanlage und signalisierte uns mit seinem Fernlicht, dass wir die Strasse queren sollten. Nun nur schnell herüber. Es hat geklappt. Jakobus war mit uns und hat uns beschützt.
siehe: 22.-24. Tag.  El Burgo-Ranero -  Mansila de las Mulas - Leon

 

 

Tag der Vergebung in Leon



Am Mittwoch in der Kar-Woche kam ich in Leon an.

Jedem Abend bis Ostern fanden die gewaltigen Prozessionen statt, bei denen überlebensgroße Darstellungen vom Leiden und Sterben Jesu durch die Straßen getragen werden. Die Stationen werden jeweils von 80 Männern in schwarzen Kutten und Kapuzen getragen, die zum Teil Barfuss gehen.

Am Mittwoch war der Tag der Vergebung. Einem echten Gefangenen wurde Vergebung erteilt; er wurde frei gelassen.
siehe: 22.-24. Tag.  El Burgo-Ranero -  Mansila de las Mulas - Leon

 

 

 

 

Obst als Spende für arme Jakobspilger

Als wir unsere Pilgerreise von Leon aus fortsetzen wollten, besuchten wir den Wochenmarkt der gerade geöffnet hatte, um noch etwas Obst einzukaufen. Jakobus war mit uns.

Die Verkäuferin verlangte kein Geld und wir bedankten uns mit einem „muchas gracias“.
 siehe: 22.-24. Tag.  El Burgo-Ranero -  Mansila de las Mulas - Leon

 

 

 

 

 

 

Zwei wundersame Begegnungen

In der Herberge in Hospital de Orbigo hatte ich mich mit Silvia und Hans aus der Schweiz zum Frühstück angemeldet. Silvia hatte kaum Platz genommen, da sprach sie ein Peregrino auf schweizerisch an. Hans kam dazu und es gab ein großes „hola“. Nun, ich dachte, sie kannten sich vom Camino her und hatte der Begegnung nicht soviel Aufmerksamkeit gewidmet. Später erzählte mir Hans, dass der Peregrino nicht nur aus seinem Ort in der Schweiz stammt, sondern, dass er jahrelang mit ihm die Schulbank gedrückt hat. Er kam schon von Santiago zurück und geht den Weg nun entgegengesetzt über Frankreich zurück in die Schweiz.

Zu mir setzte sich ein burschikoser Typ mit großem Cowboyhut. Da er sich  kurz zuvor mit dem Hospitalero auf Spanisch unterhalten hat, nahm ich an, er sei ein Spanier. Ich begrüßte daher freundlich mit einem „hola, buenos dias“ und fragte ihn: „?que tal?“ (wie geht’s?). Er antwortete: „Muy bien, gracias“. Als ich ihn dann fragte: „?de donde eres?“ (woher kommst du?) lachte er mich ganz breit an und sagte: Eh du, ich komme aus Deutschland, genaugenommen aus Datteln und habe vorher 20 Jahre in Oer-Erkenschwick gewohnt. Ich glaubte nicht recht gehört zu haben und sagte zu ihm: „ Sag das noch einmal“. Es war Alfred Jung, der 20 Jahre im Hause meines Hausarztes, 1,5 km von mir entfernt, gewohnt hat und den ich nun auf dem Camino kennen lerne. Da war natürlich die Überraschung groß. Da fragt man sich: „ Ist das alles Zufall, kann das Zufall sein? Ich nannte ihn fortan wegen seines großen Hutes „Der letzte Cowboy aus Oer.“

Siehe: 27.-28. Tag.  Hospital de Orbigo - Astorga

 

 

 

Wie sich Menschen auf dem Camino verändern können

In der Herberge in Astorga kam es dann zu einer weiteren Überraschung. Jemand rief: „Hola Karl“. Ich musste zweimal hinschauen und erkannte  erst dann, dass es sich bei der Dame um Emilie aus der Schweiz handelte. Emilie hatte ich kurz hinter Pamplona auf dem Weg zum „Alto de Perdon“ kennengelernt. Sie hatte total kaputte Füße und ich habe ihr vom meinem Blasenpflaster gegeben.
Da war sie noch rund und pummelig und nun war sie nach drei Wochen total schlank geworden. Man kann es kaum glauben, dass sich Menschen auf dem Camino in so kurzer Zeit so positiv verändern können.

Siehe: 27.-28. Tag.  Hospital de Orbigo - Astorga

 

 

Ostersonntagsmesse in Astorga mit Kronprinz Felipe

Frohe Ostern.
 

Am frühen Morgen habe ich alle meine Caminofreunde verabschiedet, da ich um 12 Uhr die Ostermesse in der Kathedrale mitfeiern wollte. Nach dem Besuch des Museums „El Camino“ in dem ehemaligen Bischofssitz begab ich mich um 11:30 Uhr in die Kathedrale, die gleich nebenan steht. Die Kathedrale war im Nu gefüllt. Vor dem Chorgestühl stand ein kräftiger Spanier und passte auf, damit keine ungebetenen Besucher diesen Raum betraten. Dann kamen die Herrschaften mit großem Aufgebot. An der Spitze ein Herr in brauner Uniform und vielen Auszeichnungen. Es war in der Tat Kronprinz Felipe mit großem Gefolge.

Und nun kommt das Größte: Vor der Wandlung sang der Chor „unser“ „Heilig, heilig, heilig ist der Herr“, und zu meiner großen Überraschung in deutscher Sprache. Mir lief ein Schauer über dem Rücken und ich merkte wie meine Augen feucht wurden. Ich war mir im Augenblick nicht sicher ob das alles ein Traum oder Realität war. Ich durfte ja nicht mitsingen aber ich summte wohl so laut mit, dass meine Nachbarn es merkten.
Siehe: 27.-28. Tag.  Hospital de Orbigo - Astorga

 

Statt Knast drei Monate auf dem Camino büßen

Bei einer Rast lerne ich eine nette Französin kennen. Auf mein Befragen sagte sie mir, dass sie schon zwei Monate unterwegs sei. Sie habe schon den Via de la Plata, der in Sevilla beginnt, bis Santiago hinter sich und habe nun noch vier Wochen vor sich, um den camino france`s bis Saint-Jean-Piet de Port zu gehen. Sie erklärte mir dann weiter, dass sie einen 17-jährigen, zur Haft verurteilten Jugendlichen mit sich führe, der auf diese Weise seine Haft verbüßt. Donnerwetter, ich dachte, dass es dies nur im Mittelalter gab, als man Verbrecher zur Strafe auf den Jakobsweg schickte um zu büßen, in der Hoffnung, dass er nie wieder zurückkommt.

 

 

Santiago ich komme, doch Jakobus ist schon lange bei mir und hilft.

In Ponferrada habe ich die große Herberge in aller Frühe verlassen, da mir dort alles viel zu eng war. So konnte ich mir für den Tag auch kein Obst  mehr kaufen. Auf dem Weg nach Villafranca del Bierzo traf ich auf eine Jugendgruppe, die ich schon vor ein paar Tagen gesehen hatte und die immer viel Radau machte. Sie hielten mich an. Ich hatte in Gedanken schon meine Geldbörse gezückt, da ich glaubte, dass sie mir etwas verkaufen wollten um ihre Reise zu finanzieren. Genau das Gegenteil war der Fall, sie schenkten mir einen dicken Apfel und mein Obstproblem für heute war gelöst.

Siehe: 32. Tag.  Ponferrada -  Villafranca del Bierzo

 


Am nächsten Tag komme ich bei einer Rast mit der Wirtin ins Gespräch. Sie konnte fließend Deutsch, da sie 30 Jahre in der Schweiz gearbeitet hatte. So ganz nebenbei erzählte ich ihr, dass ich mir gestern in Ponferrada gern einen Schirm gekauft hätte, da ich ja nun in das angeblich so nasse Galizien komme, die Geschäfte aber alle noch geschlossen hatten und nun vorerst auch keine größere Stadt mehr kommt, in der ich einen erwerben kann. Sie fragte mich: „Willst du einen?“ Ich sagte: „Claro“. Sie nahm mich mit zu ihrem Auto, holte einen nagelneuen Schirm heraus, streifte die Schutzhülle ab und drückte ihn mir in die Hand. Sie drückte und küsste mich und mit einem „buen camino“ war sie schon wieder hinter ihrer Theke verschwunden, ehe ich gracias sagen konnte.
siehe: 33. - 35. Tag.  Villafranca del Bierzo - La Faba - Fonfria - Samos

 

 

 

 

 

Auch Hape Kerkeling ist immer und überall dabei

Wie auch bei uns sind überall Graffitischmierereien zu sehen.

Ein Graffiti unter einer Brücke war jedoch bemerkenswert.

Es stand dort:

„HL.St. HAPE KERK, BITT FÜR UNS.

 

 

 

 

Eine Pilgerreise auf dem Camino de Santiago mit Langzeitwirkung

Am 3. Tag lernte ich in Roncesvalles Angela aus Barcelona kennen. Mit den beiden Wienern, Linde und Wolfgang, die ich schon in SJPdP kennen lernte, waren wir nun zu viert, die sich in Richtung Larrasoana und Pamplona auf den Weg machten. In Larrasoana gesellte sich noch Miguel, ein netter junger Mann aus Madrid zu uns. Er hatte allerdings nur vier Tage zur Verfügung und musste uns in Pamplona schon wieder Richtung Madrid verlassen. Dennoch hatte ich bemerkt, dass Angela und Miguel beide wohl ein Auge aufeinander geworfen hatten.

Mit Angela und Linde habe ich noch den Umweg zu der schönen Kirche „Maria de Eunata“ gemacht. Angela hatte gelesen, wenn man die Marienstatur in der Kirche drei Mal mit geschlossenen Augen umkreist, dann gehen gestimmte Wünsche in Erfüllung. (Sie ging drei Mal ganz andächtig um Maria) Irgendwann gingen unsere Spuren dann auseinander. In Belorado treffe ich ganz überraschend Angela wieder. Sie erklärte mir, dass Miguel aus Madrid sie heute besuchen kommt. Ich traf die beiden dann am Nachmittag vor einer Bar in der Sonne sitzend.

Wieder in der Heimat bat mich Angela, ihr doch ein paar Fotos von Miguel und sich zu schicken und weiter berichtete sie, dass sie Miguel und seine Familie in Madrid besucht habe.

Am 14.10.2009 schrieb mir Angela, dass sie nun, genau auf den Tag nach sechs Monaten, am 19. September 2009, Miguel in Madrid geheiratet habe. Donnerwetter habe ich mir gesagt. Das muss ja sozusagen eine „Caminoliebe auf den ersten Blick“ gewesen sein.
siehe: 04.-05. Tag. Roncesvalles - Pamplona
siehe: 06. Tag.  Pamplona - Puente de la Reina
siehe:
11.-12. Tag.  Cirinuela - Belorado 

 

 

Die schönsten, aber auch die emotionalsten Stunden meiner Pilgerreise

 

Die letzte Etappe von Pedrouzo nach Santiago war angesagt, es waren noch 21 km. Bin schon früh auf den Beinen und diese laufen heute wie geschmiert. Trotzdem beschleicht mich ein ganz komisches Gefühl. Ich weiß, bald ist es geschafft, das Ziel erreicht und dann ist alles vorbei. Ich hatte das Bedürfnis mit allen Bekannten zu telefonieren. Kurz vor dem Denkmal „Monte do Gozo“ dem Erinnerungsdenkmal an den Weltjugendtag 1993 mit Papst Johannes, erreicht mich telefonisch mein Freund Willi, dem ich den letzten Kick für meine Pilgerreise zu verdanken habe. Ich merkte, während wir uns unterhalten, wie mir im Hals immer enger und enger wurde. Ich konnte nicht mehr sprechen.

Dann habe ich den Gipfel erreicht und sehe von oben die Stadt Santiago im Sonnenschein vor mir liegen. Das Gefühl ist unbeschreiblich. Ich weiß nicht warum. Ich kann einfach nicht mehr, gehe in eine Ecke und heule wie ein Schlosshund. Fast jeder Pilger hat diese emotionalen Momente so oder ähnlich erfahren.
siehe: 41.-43. Tag.   Pedrouzo - Santiago

 

 

 

 

Es gäbe sicherlich noch vieles zu berichten, dass können Sie aber auf den einzelnen Etappen meiner Web-Seite nachlesen.

Euer

Carolum Henricum Wewers